Seminare & Webinare

„Zwischen Sofa, Seele und Systemarbeit“

Seminar Petershagen
geschrieben von Carsten Wagner

Ein Zweitagesseminar im Wohnzimmer – fast wie beim Psychologen.

Seminare gibt es viele, passende Räume noch viel mehr. Vereinshäuser auf Hundeplätzen, nüchterne Seminarräume mit Stuhlreihen oder einfach draußen im Grünen. Petershagen ist keines von alledem, denn dieses Seminar findet zu Hause statt.

Diesen Eindruck bekommst du sofort, wenn du die Treppe nach oben steigst. Wohnzimmeratmosphäre pur: Rechts ein Sofa, links eine gemütliche Fernsehecke mit Sesseln – und mittendrin Tische und Stühle, wie bei Mutti. Plätzchen, Bonbons, liebevolle Deko. Morgens um acht gibt’s Frühstück mit Kaffee, Brötchen und Spiegelei – abends eine Brotzeit mit Aufstrich, Wurst und einem Bierchen dazu. Wer da ist, setzt sich einfach mit an den Tisch. Man rückt zusammen – ganz selbstverständlich.

Und wer später dazukommt, nimmt sich einen Tee und beginnt zu plaudern – wie mit dem Nachbarn. Die Teilnehmenden finden schnell zueinander, hier in der Mutti-Stube in Petershagen. Das Seminar beginnt, wenn alle bereit sind.

Das Umfeld öffnet.

Schuldgefühle, Tränen, Seufzer, langes Nachdenken – dieses Seminar war emotional. Tiefgründig. Es hat bewegt, verändert. Es kamen Themen zur Sprache, die sonst nur der Psychologe zu hören bekommt – ausgelöst durch den eigenen Hund. Denn der hat am Ende die Türen zum seelischen Haushalt aufgeschlossen. Es braucht viel Vertrauen, die anderen in diese Kammer hineinschauen zu lassen. Doch genau das passiert hier. Die Mutti-Stube in Petershagen nimmt die Last von deinen Schultern – so etwas gibt es selten bei Seminaren. Das Umfeld öffnet.

Und dann: Schluss mit Emotion – jetzt wird’s fachlich.

Denn auch das gab’s hier: Klarheit, Sachlichkeit, Praxis. Und zwar mit voller Wucht. Für manche war das Seminar körperlich, mental und geistig fordernd – im wahrsten Sinne des Wortes.

Malinois, Rottweiler, Boerboel, 1000-Volt-Terrier – wobei wir Letztere in drei Treffen geschmeidig auf “Normalspannung” herunterreguliert haben. Stell dir einen schreienden Jagdterrier vor, der nur noch eines will: Wildschwein jagen. Und jetzt? Das Feuerkind ist händelbar. Riesenrespekt an die Halterin – denn die Hündin hat zur Ruhe gefunden.

In der Praxis haben wir einige wichtige Themen ganz genau beleuchtet:

Wann arbeite ich mit Futter, wann ohne?
Warum ist es völliger Quatsch zu behaupten, dass Futterarbeit nur was für die „Muschifraktion“ sei?
Was bedeutet Strafe eigentlich – und wie versteht sie mein Hund?
Warum ist Strafe so komplex? Die vier Bausteine haben es für alle greifbar gemacht.
Wann und warum kann Strafe der Beziehung schaden – und warum gehört sie trotzdem zur Erziehung dazu?

Für eine der beiden Boerboel-Hündinnen war eine Form positiver Strafe empfehlenswert – ohne Schreien, ohne Schlagen. Denn genau das ist es eben nicht! Strafe blockiert Verhalten – mehr nicht. Wer mehr hineininterpretiert, liegt falsch.

Warum gerade hier? Die Hündin war sensibel, skeptisch, in Sorge um ihre Umwelt. In diesem Zustand konnte sie kein Futter annehmen. In hoher Erregung war sie klar, direkt – aber der Zugang blieb blockiert. Die Halterin hatte eine gute Beziehung zu ihr, doch genau deshalb ging es darum, den Hund sanft aus der Verantwortung zu nehmen – ohne persönlich zu werden. Ich habe alles vorher im Detail erklärt – dann sind wir in die Praxis gegangen. Feinfühlig und fast unsichtbar – aber mit großer Wirkung. Die Hündin zog sich zurück, begann zu schnüffeln und konnte sich selbstständig aus einem Hundekontakt lösen.

Erziehungssysteme in der Praxis

Wir haben gemeinsam Erziehungssysteme in der Praxis besprochen – und gesehen, was sie bewirken. Der Malinois wurde weich, bezog sich locker und entspannt auf seine Halterin, ging frei und gelöst an der Leine. Einen Tag zuvor war davon noch keine Spur. Der Rottweiler – sensibel, introvertiert – wollte alles richtig machen. Nähe war für ihn Fluch und Segen zugleich: Er suchte sie und stieß sie gleichzeitig ab. Er hat uns etwas Wichtiges gelehrt: Achtet auf die Signale – Sensibilität braucht Fingerspitzengefühl.

Der Ehrengast und die Glaubwürdigkeit

Ein ganz besonderer Ehrenbesuch hat dieses Thema auf eine Weise greifbar gemacht, die unter die Haut ging. Eine Teilnehmerin teilte ihre Geschichte – eine Geschichte, die lange von Angst, Schmerz und massiver körperlicher Gewalt geprägt war. Jahrelang hatte sie mit einem Hund gelebt, der sie schwer verletzt hatte. Bewegte sie sich ohne sein „Okay“, eskalierte er sofort. Die Attacken kamen blitzschnell, mit voller Wucht. Es blieb nicht bei Drohgebärden – es wurde blutig. Klaffende Wunden, zerbissene Arme, tiefe Narben, körperlich wie seelisch. Ein Leben im Ausnahmezustand – häusliche Gewalt, ausgelöst vom eigenen Hund. Und das jeden Tag, über Jahre hinweg.

Aber dann trat sie an diesem Sonntag ein. Lächelnd. Strahlend. Wir haben uns herzlich umarmt – ein Moment, der kaum vorstellbar war, wenn man ihre Geschichte kannte. Früher, hätte ihr Hund mir direkt im Hals gehangen. Heute? Nichts davon. Frieden. Vertrauen. Sicherheit.

„Ich habe keine Angst mehr vor ihm“, sagte sie. Sechs Wochen lang hat sie nach ihrem Umzug mit ihm gekämpft – jeden Tag. Mit einem SEK-Schild in der Hand, um sich überhaupt bewegen zu können. Und jetzt? Jetzt sitzt sie mit ihm auf dem Sofa. Sie raufen, kuscheln, streicheln sich. Und der Hund? Er lässt es zu. Er sucht es sogar.

Was hat diesen Wandel möglich gemacht? Ihre innere Haltung. Sie hat sich ihren Ängsten gestellt, ist durch sie hindurchgegangen, hat sich von lähmenden Schuldgefühlen gelöst. Und sie hat eine Entscheidung getroffen: Klar, deutlich, standhaft für sich selbst einzustehen. Nicht gegen den Hund – sondern für sich. Und genau das hat er gespürt.

„Mein Hund glaubt mir jetzt“, sagte sie. Und dieser Satz war nicht nur für sie ein Durchbruch – er war ein Geschenk für alle, die dabei waren.

Déjà-vu aus Frankfurt Oder

Dann waren da noch die drei Kandidaten aus Frankfurt Oder. Unauffällig, liebenswert – man wollte sie einfach um sich haben. Doch dann ging es an die Longe – und plötzlich öffneten sich Themen. Aus Witzigkeit wurde langsam ernst. Eine echte Erfahrung – für Hund und Halterin. Ein Déjà-vu: „So fing es mit dem Alten an, der nicht mehr da ist“, sagte eine Teilnehmerin. Vor 14 Tagen hatte sie einen bestimmten Blick vom Hund bekommen – den kannte sie. Und er war nicht angenehm. Ein Augenöffner für alle: Wir stecken fest in unseren Systemen.

Und genau das wurde am Ende des Seminars allen klar: Wir hängen in unseren Glaubenssätzen fest. Wir folgen Ideologien, Philosophien, suchen den einen richtigen Weg – und am Ende stellen wir fest: Wir alle kochen nur mit Wasser. Einige Teilnehmer sagten sogar: „Manche kochen mit ziemlich dreckigem Wasser.“ Denn was versprochen wird, klingt gut – aber wenn man vor Ort ist, möchte man davon nichts trinken.

Im Abschlussgespräch war eines allen klar: Weniger ist mehr.

Mit Hunden leben

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Carsten Wagner

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