Bindung / Erziehung

Es geht nicht um Technik

Im Verband ziehen - mit-hunden-leben.com
geschrieben von Carsten Wagner

Was bringt es schon, die Methoden der Hundeerziehung zu zerpflücken, wenn alle angewandten Techniken rein sekundär sind? Das gnadenlose Kritisieren der angebotenen Techniken scheint kein Ende zu finden. Man gewinnt den Eindruck, als würde keiner dem anderen etwas gönnen. Das Zeitalter der Wissenschaft hat auch hier das Fühlen verdrängt. Seitdem der Umgang mit dem Hund sogar wissenschaftlich hinterlegt ist, sind auch die offensiven Angriffsprogramme zum anders Handelnden in jedem Punkt gerechtfertigt. Dem Hundefreund werden jetzt Techniken erklärt, die laut neuester Forschungen und spektakulären Studienergebnisse das Verhalten der Hunde sowie das Verhalten der Wölfe am besten imitieren. Die Humanentwicklung des Hundes hat Hochkonjunktur.

Wie in allen Bereichen des Fortschritts verschluckt das Moderne das Alte.
Gehst du nicht konform mit den bahnbrechenden Neuerungen, läufst du Gefahr, im Kreuzfeuer der Kritik unterzugehen. Der Mensch versagt als soziales Wesen und zeigt nur erneut, dass er noch weit davon entfernt ist, Güte, Mitgefühl und Verständnis als Werte zu verstehen. Doch bei aller Verteidigung der eigenen Technik vergisst man den Kernpunkt im Umgang mit dem Hund: Der Canide denkt nicht technisch.

Sklave der Technik

Ich hatte letztens ein sehr interessantes Gespräch, wo mir wieder einmal selber die Augen sauber gewaschen wurden. Die Kernaussage des Gesprächs war: Der Mensch macht sich zum Sklaven einer Technik und verlernt dabei, intuitiv zu handeln. Diese Aussage trifft es für mich genau auf den Punkt. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen (den Gedanken für das Reifen zu dieser Erkenntnis setzte mir eine sehr gute Hundetrainern – oft braucht man Input von außen), dass es wesentlich mehr Sinn ergibt, dem Menschen das Fühlen wieder näher zu bringen, um sich mehr von seiner Intuition leiten zu lassen, als ihm eine Technik an die Hand zu geben, die als Schlüssel zum Erfolg gilt. Ohne Gefühl ist eine Technik nur eine Technik. Sie ist Tod, ohne Leben, ohne Einklang. Eine Technik soll immer das Leben unterstützen und nicht umgekehrt. Daher ist die Dosis wichtig, um dem Leben Raum zu lassen.

Verlässt man sich zu sehr auf eine Technik, kommt man auch schnell in eine Situation, in der man unfähig ist zu handeln, weil man nur die technische Vorgabe der gezeigten Philosophie im Kopf hat. Man verlässt sich nur noch auf das Hilfsmittel und kann ohne dieses schon bald nicht mehr aus dem Haus gehen.
Der ganze Prozess entwickelt sich dann zu einem statischen Ablauf, was man dem Hund auch sofort ansieht. Der Mensch ist bemüht, die technische Umsetzung genauestens zu befolgen und baut sich aber selber, aus reiner Übermotivation, den offenen Weg zum Hundeherz durch verbissene Konzentration zu, anstatt ihn durch herzliche Konsequenz offen zu halten. Es fehlt dem Menschen an Gefühl, an Hingabe, Liebe und vor allem an Distanz. Nicht dass er das nicht könnte! Jeder Mensch ist dazu in der Lage. Diese substanziellen Elemente einer ehrlichen Kommunikation werden im Umgang mit dem Hund nur zu selten vermittelt. Was oft vermittelt wird, ist ein oberflächliches Gehabe, das nicht in die Tiefe geht. Dem Menschen wird in der Regel gelehrt, dass ein schnelles Streicheln mit hochgezogener Stimme, deren Frequenz Gläser zerspringen lässt, einem Lob gleichkommt. Doch es wirkt aufgesetzt, gespielt und allenfalls auffordernd. Eine auffordernde verbale Bestätigung ist in der Triebarbeit unerlässlich, doch im Beziehungsaufbau ist dieses Lob viel zu wenig. Ein Lob, welches von Herzen kommt, bedarf keiner Worte, keines Schauspiels und auch keiner Animation. Zwischen Mensch und Hund muss etwas fließen. Diesen Fluss der energetischen Verbindung kann man nicht erklären, man muss ihn fühlen. Das alleine zeigt mir klar, dass nicht die Technik für die Beziehung von Bedeutung ist, sondern die Beziehungsfähigkeit des Menschen. Erst wenn der Mensch sich selbst als lobenswert empfindet, kann er ein ehrliches Lob verteilen – und das gilt nicht nur im Umgang mit dem Hund.

Natürlich sind Vorgaben, Techniken und Hilfsmittel sehr wichtig und können eine große Erleichterung für jeden Hundefreund sein, der im allgemeinen Schwierigkeiten hat, sich beim Hund in den Vordergrund zu stellen. Sie können eine Kommunikationsbrücke bauen, um Mensch und Hund in die richtige Position zu bringen. Erziehung heißt jedoch konsequente Herzenssache und bedarf ganz offen gesagt keiner Hilfsmittel. Und genau weil es im Umgang mit dem Hund nicht um Technik, Philosophie und Hilfsmittel geht, verstehe ich das unsoziale Verhalten vieler Trainer, Hundehalter und auch visueller Gruppen nicht, die alles anprangern und sich selbst so unausgesprochen peinlich in den Vordergrund heben, als hätten sie das Rad neu erfunden. Eine Herzenssache kann man nicht verkaufen, man kann sie nur leben.

Philosophien beleuchten universelle Lernprinzipien

Wer sich die Zeit nimmt, die unterschiedlichen Ansätze mal genauer zu betrachten, wird bemerken, dass im Kern vieles ein und derselbe Abwasch ist. Der Nachteil der ganzen Ansätze ist der, dass vieles weitergegeben wird, bevor es wirklich verstanden wurde. Es wird vermischt und auch gebastelt. Kreiert wird dadurch selten etwas Neues. Das Überraschungsprodukt heißt oft Konflikt und weniger Lösung. Wissen und Intuition sind die Würze des Erfolgs.
Wird etwas nicht verstanden, befindet man sich schnell im Versuchen. Versuchen wiederum verhindert ein klares Handeln. Fehlt ein klares Handeln, sinkt die Glaubwürdigkeit. Fehlt die Glaubwürdigkeit, wird dir keiner folgen, und schon gar nicht der Hund!

Werden Hilfsmittel eingesetzt, dann sollten sie nicht als Zauberutensilien verkauft werden, da eine Wandlung im Hund nicht durch das eingesetzte Hilfsmittel entsteht, sondern durch die sich wandelnde Einstellung im Menschen. Fehlt das Hintergrundwissen, das Gespür für die richtige Intensität und vor allem das Verständnis zum Wesen Hund, ist jedes noch so toll vermarktete Produkt nutzlos.

Es ist nicht das Hilfsmittel, was den Hund binden lässt, sondern das mentale Loslassen. Wenn du möchtest, dass dir etwas folgt, dann lass es frei! Viele Ansätze gehen zwar für mich zu viel in die Kontrolle und zu viel Kontrolle erstickt bekanntlich das Vertrauen. Dennoch ist es für mich gleich, wer was anwendet und wie es aus der Ferne aussieht. Wenn das Motiv, Mensch und Hund helfen zu wollen, grundehrlich ist, die Ansätze zum Erfolg führen und keiner zu Schaden kommt, dann ist mir gleich, welche Philosophie zum Tragen kommt.

Fazit:

Der Mensch muss wieder mehr in den Vordergrund gebracht werden, nicht aber der Hund und noch weniger die Technik. Auch kann es nicht schaden, mehr Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen aufkommen zu lassen. Ich habe mit meiner eigenen Beschränktheit und Fehltritten so viel zu tun, dass ich mir die Frage stelle, woher so mancher Mensch noch die Zeit findet, sich mit so viel Energie über andere aufzuregen. Vielleicht aber würde ich auch so einsatzbereit beim Kritisieren sein, wenn ich sehr viel Zeit übrig hätte. Es ist äußerst hilfreich, den Menschen zu unterstützen, seinen eigenen Weg finden zu können. Nur der eigene Weg ist authentisch und nur das schafft eine Beziehung. Das kann durch kein technisches Arbeiten erlangt werden.

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Carsten Wagner

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