16 Jahre – ein stolzes Alter; und es war noch zu früh. Hunde haben für jeden einen unterschiedlichen Wert. Für den Bauern ein Nutztier, für den Ehrgeizigen und Übermotivierten ein Sportgerät, Arbeitsmaterial für die Behörde, ein Jäger für den Jäger. Für mich ist der Hund nichts davon, aber mindestens ein vollwertiges Familienmitglied mit hohem sozialem Stellenwert – und man kann ihm gar nicht genug danken.
Er erträgt unsere Launen geduldig, ohne sich zu beklagen, verzeiht unsere Fehler, ist nicht nachtragend, unterstützt uns in emotionalen Tiefs, vertreibt das Gefühl der Einsamkeit, bringt uns zur Weißglut und lässt uns im nächsten Moment Reue empfinden. Er liebt bedingungslos und wenn es ihm passt, lässt er dich stehen. Er zeigt dir, was ehrliche Zuwendung ist, lässt dich lieben und lässt dich sorgen und am Ende hinterlässt er ein tiefes Loch.

Vor dem Abschied haben wir alle Angst.
Einige Hunde gehen früh, andere zu früh und der eine oder andere wird alt. Betty war alt. 16 Jahre, mit starkem Herz und Lebensfreude. Dement, fast blind, fast taub – auch im jungen Alter hat sie wenig gehört. Das lag mehr an ihrem Charakter als am gesundheitlichen Verschleiß.
Alte Hunde entschleunigen dich und bringen dich zum Nachdenken, zum Hoffen, zum Verdrängen. Wie wird ihr Ende sein? Friedlich? Qualvoll? Wird sie leiden? Muss sie mit der Spritze erlöst werden? Beim Tierarzt? Zu Hause? Wohin mit ihrem Leichnam? Begraben? Verbrennen?
Man wünscht und hofft auf ein friedliches Einschlafen und verdrängt alle anderen Gedanken – am Ende steht das Ende wie ein unerwarteter Besuch vor der Tür, der dich mit einem Lächeln beiseiteschiebt, um sich das zu holen, was dir das Liebste ist – und du kannst nichts tun.
Gibt es den perfekten Moment des Sterbens? Ja, wir hatten ihn! Sternenhimmel, Sternschnuppen, lauwarme Nacht – in der Ferne ein Feuerwerk und es kam alles anders als erwartet.

Wir sind seit fast 8 Wochen unterwegs – Urlaubstour. Am letzten Zielort angekommen, entschloss ich mich, nicht weit entfernt zu meinem Freund Swen Preissler zu fahren – für eine Nacht, die vieles verändert hat.
Nach einem ereignisreichen Tag verbrachte ich die Nacht mit den Hunden im Sprinter – oben auf der Ranch, im Zweithaus, bei den Pferdeställen. 0.30 Uhr – ein starkes Hecheln lässt mich wach werden. Betty wollte raus. Ich brachte sie zur Wiese vor der Koppel, setzte mich zu ihr und dachte: Das klingt nicht gut.
2 Stunden – ein auf, ein ab. Nach einer Stunde wusste ich unbewusst: Betty befindet sich im Sterbeprozess. Ich verdrängte jeden Gedanken daran und konzentrierte mich einzig und allein darauf, für sie präsent zu sein. Klar, liebevoll, dankbar.
Die Nacht wurde kühler. Ich holte uns Decken. Legte mich zu ihr, den Blick zu den Sternen und hielt sie dicht bei mir. Sie atmete schwer. Dann legte sie den Kopf auf meine Brust und bereitete sich auf das Sterben vor. Ich hatte das Gefühl: In dem Moment, als ihr bewusst wurde, dass sie stirbt, sprang sie wiederholt hoch und wollte aufstehen. Sie kämpfte gegen den Tod. Sie wollte Leben. Betty hatte ein starkes Herz, sie hatte Lebenswillen – doch der Körper sagte nein!
Dann wurde es neben mir ruhig. Betty lag eng an mir, in meinem Arm eingeschlossen. Ihr Kopf unter meinen Axeln. Ihr Atem wurde ruhig. Sie entspannte sich. Es fühlte sich vertraut und warm an, wie früher auf dem Sofa beim gemütlichen Fernsehen. Ich spürte das Heben und Senken ihrer Brust. Ruhig, gleichmäßig, zufrieden. Der Himmel war sternenklar, und Sternschnuppen zogen vorbei, ohne dass wir uns etwas wünschten. In der Ferne gab es ein Feuerwerk. Wir waren im Hier und Jetzt, ohne überflüssige Gefühle, ohne Reue oder Bedauern, ohne Gedanken an „hätte ich“ oder „wäre noch“.
Es gibt kein Zurück – es ist soweit!
Dann war es so weit. Betty wurde ein wenig nervös und versuchte wieder aufzustehen. Ich ließ es nicht mehr zu. Sanft legte ich ihren Kopf auf meine Brust und hielt ihn, wie ein Vater, der seinem Kind die Angst nimmt. Ich sagte ihr: „Es ist so weit, lass los“.
Sie ließ sich fallen. Sie legte ihren Kopf erneut in meine Achseln. Ich schloss sie in meinen Arm ein und schaute zu den Sternen und begleitete ihr atmen mit dem meinen. Ihr Atmen wurde langsamer und langsamer, bis er nur noch einseitig das Leben aushauchte. Ihre Beine zogen sich zweimal kurz und krampfartig zusammen; danach erfolgte der Übergang. Ich fühlte, wie die Kälte die Wärme verdrängte.
Ich blickte noch eine Weile in die Sterne, voller Dankbarkeit, überwältigt von dem Moment und den anschließenden Emotionen. Danach funktioniert man nur noch. Ich deckte Betty zu, legte sie in den Stall und ging wie benommen schlafen.
2 Stunden Schlaf. Der erste Blick zu Betty. Ich konnte sie durch die Autoscheiben liegen sehen. Die Trauer fing an. Ich schrieb meinem Freund, ob er Betty begraben kann – ich muss los. Sweni verstand sofort.
Wir telefonierten am Abend. Er sagte: „Carschti, die schwierigste Aufgabe war heute, deinen Hund zu begraben“. Ich fragte, warum? Er sagte: „Der Boden war scheißtrocken. Ich habe 4 Stunden gebraucht, um das Grab auszuheben“. Da musste ich lachen.
Sicherlich stellt sich die Frage, warum ich das Grab nicht selbst gehoben habe, um mich zu verabschieden? Wir hatten unseren Moment. Nur wir zwei, tief verbunden und unbeschreiblich nah – eine intime Welt voller Verbundenheit, die man nicht in Worte fassen kann – man muss es erleben.
Ein Grab ist für den Trauernden – dem Toten ist es egal!
Mir war klar: Das Grab ist am Ende für die Hinterbliebenen. Vielleicht um die Trauer am Leben zu halten? Einige glauben, je schmerzhafter und länger sie trauern, umso größer der Beweis der Liebe. Dem Toten interessiert das nicht. Der Geist ist auf Reise – die Hülle ist bedeutungslos. Der Entschluss stand schnell fest: Die Ranch ist ein guter Ort, um die Überreste zu begraben.
Ein Buddhist sagt zu seinen Schülern, die einen Grabstein zu seinen Ehren aufstellen wollten: „Spart euch die vielen Worte!“ Wenn es denn unbedingt sein muss, schreibt auf 3 Tafeln. Auf die erste Tafel schreibt ihr: Hier bin ich nicht zu finden! Auf die zweite Tafel schreibt ihr: Hier draußen bin ich auch nicht zu finden! Auf die dritte Tafel schreibt ihr: Du findest mich wieder, wenn du achtsam gehst und bewusst ein- und ausatmest.

Warum schreibe ich das?
Geht es um Sterben und Tod, hat der Mensch im Vorfeld Angst; im Nachgang romantisiert er. Auch wenn unser Moment scheinbar perfekt war, bleibt das Sterben das Sterben. Ein Prozess, der viel von dir abverlangt und du bereit sein musst, ihn anzunehmen. Im Moment des Sterbens gibt es keinen Grund zur Sorge. Sie sind vor dem Sterben, während des Sterbens und nach dem Sterben unbedeutend, weil es anders kommt und ist als erwartet.
Die Buddhisten sagen: Im Verlust spürst du 2 Pfeile. Der erste Pfeil trifft dich, wenn du jemanden wichtigen verlierst. Es ist der Pfeil der Trauer. Trifft dich dieser Pfeil, spüre den Schmerz, aber blähe ihn nicht auf. Der zweite Pfeil ist der Pfeile der Schuld, der Vorwürfe, des Bedauerns. Diesen schießt du auf dich selbst ab. Sei achtsam. Achte darauf, dass dich der zweite Pfeil nicht trifft.
Das Sterben bewusst, klar, präsent zu begleiten ist intensiv und intim und hat keinen Platz für Unruhe.
Was ich für mich erkannt habe? Die Stufen des Übergangs scheinen bei Hund und Mensch identisch. Vor 2 Jahren beobachtete ich das Sterben meines Schwiegervaters und ich fühlte bei Betty haargenau die damals beobachteten Abläufe. Ich konnte im Prozess die einzelnen Stufen einordnen. Das hat mir geholfen, mich zu ordnen und ruhig zu bleiben.
Betty ist tot. Geboren am 19.5.2009, gestorben am 25.6.2025. Ihr letzter Atemzug: 2.30 Uhr.
Ich halte an dem Gedanken fest: Das Leben ist wie eine Wolke. Sie kann nicht zu nichts werden. Sie verändert ihre Form, wird zu Regen, wird zu Schnee, löst sich auf und doch ist sie nicht zu nichts geworden.
Egal, ob Mensch oder Hund. Blickst du tiefer, bleiben die Verstorbenen in dir und um dich herum.
Menschen, die sagen: „Ist doch nur ein Hund!“ sind zu bedauern.
Gute Reise, Betty.
