Gedanken eines Trainers

Cane Corso – Der Weg aus dem Tierheim

Cane Corso - Mit Hunden leben
geschrieben von Carsten Wagner

Angekündigt wurde der Hundeschule Düsseldorf – Mit Hunden leben ein 60 kg schwerer Cane Corso Rüde. Seine Geschichte ist wie bei vielen Hunden aus dem Tierheim nicht unbedingt mit Glanz überzogen. Die Hundetrainerin und Freundin des Düsseldorfer Tierheims beschrieb mir sein Temperament als sehr aufbrausend und respekteinflößend.

Näherte man sich dem Zwinger, dann war das druckvolle Entgegenkommen, mit dunklem Blick und grollendem Gebell, als das zu verstehen, wie es gemeint war. Eine Warnung! Allem Fremden gegenüber sehr skeptisch eingestellt, versuchte er jeden Interessierten auf Abstand zu halten.

Die Chancen, einen Hund in dieser Größe und mit dem gezeigten Verhalten zu vermitteln, sind so groß wie ein Lotteriegewinn. Wenn sich dann noch die Anzahl der Vorbesitzer summiert hat, stehen die Interessenten bei einem Hund dieser Kategorie nicht unbedingt Schlange. 

Gerade deshalb freute sich die Düsseldorfer Tiertrainerin über jeden ernst gemeinten Interessenten für diesen Rüden. Sie kündigte mir in den kommenden Tagen ein Telefonat eines Interessenten an, und man konnte merklich ihre Freude hören, weil sie die Energien beider kompatibel einschätzte.

Es bestünde eine sehr gute Chance, einem weiteren Wesen zu helfen, welches aus reiner menschlicher Naivität und Gleichgültigkeit zur Dauerhaft verbannt wurde. Natürlich ist ein Tierheim keine Haftanstalt und für viele Tiere die einzige Möglichkeit des Überlebens. Dennoch ist eine dauerhafte Unterkunft alles andere als entwicklungsfördernd.

Fälle, in denen sich Hunde seelisch komplett aufgaben, sind bekannt. Die stetige Isolation zum Sozialpartner Mensch als auch die anhaltende Belastung, welche durch eine Dauerbeschallung durch die anderen Insassen unerträglich einwirkt, hinterlässt ihre Spuren im Wesen des Hundes.

Die grenzenlose Arroganz und Dummheit einiger Menschen behandelt alles Leben, was seiner nicht gleich zu sein scheint, wie ein Abfallprodukt. Erst, wenn ihr eigenes Ableben durch eine ernüchternde Diagnostik bevorsteht, oder eines verloren ist, das einem teuer war, wird das Leben wertgeschätzt. Bedauerlich, dass der Mensch erst zu begreifen beginnt, wenn nicht mehr genügend Zeit ist, das Leben im Ganzen zu verstehen.

Eines Abends: Es klingelte das Telefon. Am anderen Ende war eine selbstbewusste Stimme. Nicht nur ein Interessent, wie sich gleich herausstellte, sondern ein Mensch mit einem besonderen Energielevel, dessen Entscheidung und Vorhaben schon klar war.

Offensichtlich musste er nur im Wort etwas bestätigt bekommen, was er schon fühlte und dachte. Das Tierheim hatte ein Wohnen auf Probe ermöglicht und mit dem Tag seines Anrufs endete auch die Zeit der gemeinsamen Kennenlernphase. Der “neue” Besitzer musste sich entscheiden, ob der Hund bleibt oder geht.

Ich fragte den Interessenten nach den gemachten Erfahrungen. Er erzählte mir, dass die erste Begegnung am Zwinger recht laut war. Ein Cane Corso macht Eindruck und erzeugt viel Gegenwind, wenn er sich zielstrebig, impulsiv nach vorne drückt. Dieses recht unfreundliche Verhalten schreckte bis dato jeden Besucher des Tierheims ab und unser Cane Corso verbaute sich damit jegliche Zukunft.

Bis jetzt! Unbeeindruckt von dem zur Vorsicht mahnenden Verhalten des im Zwinger aufgestellten Körpers, erkannte der entschlossene Interessent das alles Entscheidende, das für eine nachhaltige, tiefgreifende Beziehung grundlegender ist als jedes Erziehungsprogramm: Der unbefleckte, gegenseitige Respekt und die mitfühlende Achtung gegenüber dem Leben. Er hatte mit dem Herz gesehen!

Gerade bei Hunden, deren Lebensverlauf so viele Vertrauensbrüche beinhaltet, an denen das menschliche Herz wahrscheinlich auf Dauer gebrochen sein würde, ist ein gütiges, reines Herz ausschlaggebend. Ein Herz, das nicht mit dem Auge des Mitleids blickt, sondern klar, vorbehaltlos schaut, um sich dem Wesentlichen widmen zu können. Dem Mitgefühl und der Liebe.

Klar muss dem Menschen allerdings sein, dass das Wesen eines Raubtiers, bei aller Sanftheit, die in ihm wohnt, gnadenlos, brachial und vernichtend ist, wie die urige Gewalt einer stürmischen See. Um dieser Urgewalt eines Cane Corso nicht schreckhaft zu weichen, bedarf es einer mentalen Stärke, entsprungen aus der naturellen Veranlagung: aus der Quelle des Seins.

Diese Energie schlägt ab dem ersten Atemzug tief in der Brust eines jeden Lebens. Sie ist weder veränderbar, nachrüstbar oder gar austauschbar, da sie den Rhythmus des Lebens bestimmt. Von ihr aus wird der Schlag des Herzens getaktet.

Diese Energie drückt mit vorgegebener Geschwindigkeit das Blut durch die Venen und Arterien und stempelt den Lebenswillen in jedes Geschöpf. Wie sehr der Lebenswille ausgeprägt ist, erkennt man erst dann, wenn es um ein existenzielles Bedürfnis geht.

Alles steht in Verbindung und wird von Energien beeinflusst

Energien müssen kompatibel sein, um sich nicht gegeneinander aufzuheben. Sie müssen der gleichen Natur entsprechen, um in dieselbe Richtung fließen zu können. Dabei dürfen sich leichte Ströme entwickeln, jedoch kein Sog, der alles in die Tiefe zieht. Gegensätzliche Flüsse können sehr anstrengend sein, was einer harmonischen Verbindung im Wege steht.

Daher ist es extrem wichtig, besonders Hunde aus dem Tierheim nach subtileren Kriterien auszuwählen und zu vermitteln. Kompatible Energien, die sich gefunden haben, sind beständig. Man hat das Gefühl, dass man seelenverwandt ist. Ich bin mir manchmal gar nicht so sicher, ob dieses tiefe Gefühl der Zusammengehörigkeit nur zwischen Mensch und Mensch seine Akzeptanz findet. Ein Verbundensein zweier Energien hat sicherlich nichts mit der Form zu tun, in welche sie gepackt ist.

Am Telefon erzählte mir der Interessent, dass er bei diesem Hund etwas spürte, dass er nicht in Worte fassen konnte. Beide standen sich gegenüber und dem Mann war aus innerem Antrieb klar, dass er diesem Hund helfen musste. Nicht aus Mitleid! Ich hielt Mediziner und Psychologen immer für abgeklärte und kopflastige Menschen. Lach.

Klarheit, Entschlossenheit und sehr viel Gefühl waren in der mir später gegenüberstehenden Person zu finden. Wer diese drei Dinge in sich trägt, lebt mit dem Hund auf einer verständlichen Ebene. Beziehung erwächst aus diesen Komponenten und nicht aus einem Ausbildungsprogramm.

Was überzeugt, kann man nicht greifen!

Carne Corso nach der ArbeitEinem Hund wie diesem charakterstarken Cane Corso gegenüberstehen zu können, ohne einen Funken Angst in sich zu spüren, ist daher immer eine Frage der Persönlichkeit und des Energielevels beider Individuen. Sie verlangt nicht nach Intelligenz. Die mentale Präsenz ist der entscheidende Faktor.

Dabei geht es nicht um ein körperliches Kräftemessen, viel mehr um ein mentales Überlegensein, frei von Provokation und einem pubertierenden Positionsgerangel. Was hätte man einem 60 kg schweren Hund schon körperlich entgegenzubringen? In diesem Fall musste dem Hund erst einmal klar werden, dass der Interessent niemals weichen wird, auch wenn er mit Nachdruck gegen das Gitter stemmt.

Der unbeschwerte, unvoreingenommene Eindruck ist der Schlüssel für die Seele eines so armen Kerls und daher setzte sich der Interessent, bei allem Getobe des Hundes, einfach an die Zwingertür und tat gar nichts, außer da zu sein. Das weckte Interesse. Er wurde ruhiger.

Bei jeder Begegnung zählt der erste Endruck. Er ist entscheidend! Insbesondere aber bei Hunden, die sich ein Muster der Abschreckung aufgebaut haben, um sich selber zu schützen. Was bleibt diesen armen Wesen auch übrig, wenn sie sich seit Jahren ohne Halt und Vertrauensbasis durch ihr Leben schlagen mussten? Verdenken kann ich es ihnen nicht.

Und gerade bei Lebewesen, deren Misstrauen zu allem Unbekannten im genetischen Code geschrieben ist, zählt der erste Eindruck. Ich las letztens einen Satz, den ich sehr treffend fand: Der erste Eindruck unterscheidet sich vom Zweiten, weil es der Erste ist. Daran halte ich mich stets fest, bevor ich mich einem Hund nähere.

Zögerliches Verhalten hat immer Konsequenzen. Bei einem Hund gibt es keine zweite Chance!

Hunden aus dem Tierheim zu helfen ist sehr lobenswert und daher ist den Menschen Folgendes mit auf den Weg zu geben: Ein rein mütterliches Empfinden bringt keinen Hund in ein strukturiertes Leben, besonders keinen führungsstarken Hund wie diesen Cane Corso.

Er verlangt nach viel mehr. Halt, Vertrauen und vor allem nach Überzeugung. Man muss bereit sein, sich mit den Verhaltensauffälligkeiten eines Tieres auseinandersetzen zu wollen, auch wenn es, wie in unserem Fall, massiv und sehr beängstigend aussieht. Liebe blickt durch alle Mauern und nimmt an!

Der “neue Halter” schilderte mir einige Erlebnisse, welche für die Mehrheit anderer Interessenten ein sofortiges Zurückbringen ins Tierheim mit sich gebracht hätten. Unser Cane Corso Rüde stellte sich in aller Größe, mit vollem Gewicht in die Leine, sobald sich jemand von vorn näherte. Dabei war sein Gebell sehr tief, wirkte ernst und überzeugte.

Sein Blick verriet Entschlossenheit und die weiteren geschilderten Details im Telefongespräch machten deutlich, dass dieser Hund sein Vorgehen mit Nachdruck gelehrt bekommen hat. Ein Cane Corso ist ein sizilianischer Herdenschutzhund, der von Natur aus einen sehr starken Wehr- und Schutztrieb in sich trägt.

Eine sehr alte Rasse, welche für die Familie pflichtbewusst einsteht. Das Beschützen seiner Herde (Mensch) sowie das Fernhalten alles Fremden ist sein Naturell, welchem er auch bis zum letzten Atemzug nachkommt. Diese Eigenschaft wird oft genutzt und missbraucht. Die Übernahme solch eines Hundes ist eine Aufgabe und bedeutet eine unvermeidliche Auseinandersetzung. So etwas läuft nicht nebenbei einher.

Auch auf Anraten seines Umfelds, sein Vorhaben des dauerhaften Einzugs dieses Hundes noch einmal zu überdenken, war der Halter entschlossen und überzeugt. Selbst die Spuren, die dieser Hund an seinem Arm hinterließ, konnten den Mann nicht abhalten, sich seiner anzunehmen.

Ich fragte ihn, wovor er mehr Bedenken hätte: Davor, dass dieser Hund ihn selber angehe, oder davor, dass er das Außen in Angst und Schrecken versetze. Die folgende Antwort, die er mir gab, war für mich entscheidend, ihn in seinem Vorhaben zu bestärken.

Er sagte: “Vor ihm habe ich definitiv keine Angst, er hat mir zwar schon in den Arm geschnappt, aber das hat mich nicht interessiert. Eine kleine Drohung, nichts Ernstes, denn sonst wäre der Arm ab. Er hört ja auch auf mich und ich habe das Gefühl, dass er sehr dankbar ist. Ich habe nur leichte Bedenken, dass er sich bei den Menschen im Außen nicht zurückhalten kann.”

Ich sagte ihm, dass seine Einstellung, seine Handlungsbereitschaft und seine Entschlossenheit, gepaart mit seinem großen Herz, alles ist, was er für die Veränderung des gezeigten Verhaltens des Hundes benötigt. Weiter erklärte ich ihm, dass ich ebenso davon überzeugt bin, wie auch die Hundetrainerin des Düsseldorfer Tierheims, dass er der Richtige sei, um diesem Hund das Vertrauen zu schenken, nach welchem er so lange suchte. Er bestätigte mir, dass dieses Gespräch seine Absicht festigte, und wir verabredeten uns für ein Treffen in meiner Hundeschule in Düsseldorf.

Nichts ist so, wie es scheint!

Die Kofferraumtür ging auf und wie erwartet sprangen die 60 kg Hund aus dem Auto. Ohne lange zu zögern, suchte er den Augenkontakt und stieg mit Gebell in die Leine. Ich betrachtete mir den ungehobelten Knaben etwas genauer und merkte schnell, dass seine Augen etwas anderes verrieten als das, was er zeigte.

Sehr feinfühlig in seiner Wesensstruktur, nahm er Energien unglaublich subtil wahr. Er reagierte auf meine Unbefangenheit abrupt, denn sein Gehampel war mir gleich, was ihn auch sofort stutzig werden ließ. Ich fand ihn jetzt schon toll und empfand tiefstes Mitgefühl, besonders als das Motiv seiner Handlungen offen gelegt war.

Es dauerte keine 2 Minuten und dieser Hund änderte sein komplettes Verhalten. Hunde sind zur sofortigen Veränderung bereit, wenn der Halter klare, herzliche Führung übernimmt. Sobald ich dem Halter verständlich machte, welche Aspekte er in seinen Handlungen ändern müsse, um den Hund in die Kooperation zu bringen, änderte sich auch augenblicklich das Verhalten des Hundes.

Er machte seinem neuen Halter ehrliche, ruhige Angebote und bezog sich mit einer Aufrichtigkeit, dass einem das Herz warm wurde. Dankbarkeit stand in seinen Augen, endlich abgeben zu dürfen.

Wohin die Reise gehen wird, ist ungewiss. Entscheidend ist, dass sie begonnen hat. Hunden zu helfen bedarf oft mehr als den sentimentalen Blick. Besondere Hunde bedürfen besonderer Menschen. Ich hoffe, ich konnte verständlich machen, dass die Auswahl eines Hundes aus dem Tierheim wahrlich durchfühlt werden muss und dass eine Beziehung zu einem Tier nichts Selbstverständliches ist, oft Kosten und harte Arbeit verursacht.

Dass es sich lohnen kann, tiefer zu schauen, zeigte mir erneut unser Beispiel. Ich bin gespannt auf die Entwicklung und freue mich, sie begleiten zu dürfen.

Mit Hunden leben – Hundeschule

Über den Autor

Carsten Wagner

Kommentare

  • Gratulation!! Wunderschön geschrieben…es ist wirklich traumhaft zu lesen, dass Banjo nun noch noch jemanden gefunden hat, der bereit ist sich auf ihn einzulassen. Ich kenne Banjo von früher und kann fest bestätigen, dass Sie nun einen extrem liebevollen und sanftmütigen Riesen an Ihrer Seite haben. Schön, dass Sie es gesehen haben, davon gibt es nicht viele Menschen!

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